Überforderung durch Gefühle: Wie die Psyche schützt und was heilt
Manchmal handeln wir, ohne zu wissen, warum. Wir arbeiten zu viel, essen über unseren Hunger hinaus, ziehen uns zurück oder sind übermäßig kontrolliert und all das, ohne dass wir uns wirklich dafür entscheiden. Hinter solchen Verhaltensweisen kann eine sogenannte Ersatzhandlung stehen. Eine Ersatzhandlung ist der Versuch der Psyche, mit unangenehmen oder überwältigenden Gefühlen umzugehen, ohne sie direkt zu fühlen. Statt Trauer, Angst oder Wut zuzulassen, lenkt sich der Mensch unbewusst ab oder ersetzt das Gefühl durch eine Handlung, die scheinbar mehr Kontrolle oder Erleichterung bringt. Das geschieht meist nicht bewusst, sondern automatisch, oft als Schutzreaktion auf frühere Erfahrungen.
Gerade Menschen mit traumatischen Erlebnissen neigen zu solchen Ersatzmustern. Wenn das ursprüngliche Gefühl, etwa Schmerz, Ohnmacht oder Scham, in der Vergangenheit zu intensiv oder bedrohlich war, lernt die Psyche: Fühlen ist gefährlich. Also schützt sie sich, indem sie das Gefühl „wegpackt“ und durch ein Verhalten ersetzt, das zwar kurzfristig hilft, langfristig aber oft belastet.
Was dabei verloren geht, ist der direkte Zugang zum eigenen inneren Erleben. Die unterdrückten Gefühle verschwinden nicht, sie bleiben im Körper und Nervensystem gespeichert. Sie zeigen sich später oft als innere Unruhe, Leere, Anspannung, psychosomatische Beschwerden oder Schwierigkeiten in Beziehungen. Auch Gefühle wie Sinnlosigkeit oder das Gefühl, „nicht ganz da zu sein“, können Ausdruck solcher unbewussten Vermeidungsstrategien sein.
Hier setzt die Traumatherapie an. Sie hilft, diese Schutzmechanismen nicht zu verurteilen, sondern zu verstehen als das, was sie ursprünglich waren: Versuche, zu überleben. In einem sicheren, stabilen Rahmen kann man sich Schritt für Schritt dem nähern, was hinter der Ersatzhandlung liegt: dem echten Gefühl. Durch behutsame therapeutische Begleitung wird es möglich, diese Gefühle zuzulassen, ohne davon überwältigt zu werden. Neue Wege des Umgangs mit innerem Erleben entstehen. Sie sind selbstfürsorglich, regulierend und verbunden. Die alten Muster verlieren nach und nach ihre Funktion. Stattdessen entsteht mehr Selbstkontakt, emotionale Freiheit und echte Lebendigkeit.
Wenn wir begreifen, was unsere Ersatzhandlungen uns sagen wollen, können wir sie nach und nach loslassen und beginnen, wieder wirklich zu fühlen.