Ohne Boden kein Haus: Stabilisierung in der Traumatherapie

Wenn wir von Traumatherapie sprechen, denken viele zuerst an das Erzählen oder Aufarbeiten belastender Erfahrungen. Doch bevor ein Mensch überhaupt beginnen kann, sich mit dem Trauma selbst zu beschäftigen, braucht es etwas viel Grundlegenderes: Stabilisierung. Sie ist der erste und wichtigste Schritt auf dem Weg zur Heilung und ohne sie kann alles Weitere retraumatisierend wirken oder zu Überforderung führen.

Ein Trauma erschüttert das Gefühl von Sicherheit. Plötzlich ist nichts mehr verlässlich: nicht der Körper, nicht die Gefühle, nicht die Welt. Die Folge ist oft ein Nervensystem in Daueralarm und ein Alltag voller Überforderung, Flashbacks oder emotionaler Taubheit. Stabilisierung bedeutet: ein Gefühl von Boden unter den Füßen. Erst wenn sich ein Mensch innerlich sicher genug fühlt, kann Heilung überhaupt geschehen.

Stabilität heißt nicht „Funktionieren“

Viele traumatisierte Menschen funktionieren erstaunlich gut, äußerlich. Sie arbeiten, organisieren, helfen. Doch innen tobt ein Sturm. Stabilisierung meint nicht bloß Alltagstauglichkeit, sondern:

  • innere Ruhe,

  • Selbstregulation,

  • die Fähigkeit, Gefühle zu halten,

  • und zu spüren: Ich bin jetzt in Sicherheit.

Stabilität schützt. Sie ist nicht optional, sie ist grundlegend.

Ohne Stabilisierung können Konfrontation oder intensive Gespräche mit traumatischen Inhalten überwältigend oder sogar retraumatisierend wirken. Der Körper erlebt das Trauma dann nicht als Vergangenheit, sondern als Jetzt.

In der Traumatherapie (und auch im Alltag) geht es um kleine, aber wirksame Schritte:

  • Sich im Hier und Jetzt verankern: Durch Atmung, Sinnesreize, Orientierung.

  • Ressourcen stärken: Innere Bilder, unterstützende Menschen, sichere Orte.

  • Körper spüren lernen: Durch Bewegung, Erdung, sanfte Aktivierung.

  • Gefühle regulieren lernen, ohne sie zu unterdrücken oder von ihnen überschwemmt zu werden.

  • Grenzen wahrnehmen und setzen, innen wie außen.

Stabilisierung ist keine Pause von der Therapie, sie ist Therapie.

Stabilität ist wie das Wurzelwerk eines Baumes: Unsichtbar, aber lebenswichtig. Sie gibt Halt, auch wenn es stürmt. Erst wenn dieser Halt spürbar ist, kann man sich dem zuwenden, was einst zu viel war. Wenn Sie sich zerrissen, überfordert oder „zu nah am Rand“ fühlen: Sie müssen nicht alles auf einmal tragen. Es darf zuerst um Sicherheit gehen. Um das kleine Gefühl von: Ich bin hier. Ich atme. Ich bin nicht allein.

Und das ist schon ein guter Anfang.

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Innere Zerrissenheit: Ein leiser Schmerz zwischen damals & heute