Wenn Fühlen unsicher ist. Wie Trauma unsere emotionale Welt beeinflusst

Fühlen ist gefährlich, so hat es unser inneres System vielleicht irgendwann gelernt. Gefühle sind eigentlich ein Kompass: Sie helfen uns, uns selbst zu verstehen, Nähe zu anderen aufzubauen und das Leben in seiner ganzen Lebendigkeit zu erfahren. Doch wenn wir in der Vergangenheit erlebt haben, dass bestimmte Emotionen Schmerz, Ablehnung oder Überforderung nach sich ziehen, kann sich ein Schutzmechanismus entwickeln. Dann wird das Fühlen nicht mehr als sicher erlebt, sondern als etwas, das Unsicherheit, Angst oder inneren Rückzug auslöst.

Warum wir lernen, Gefühle zu vermeiden

Viele Menschen mit frühen emotionalen Verletzungen oder Entwicklungstrauma haben die Erfahrung gemacht, dass ihre Gefühle zu viel waren für ihre Umgebung, für ihre Bezugspersonen, vielleicht sogar für sich selbst. Wenn emotionale Nähe in der Kindheit nicht mit Sicherheit verbunden war, sondern mit Ablehnung, Scham oder Zurückweisung, entsteht häufig ein inneres Muster: Ich darf nicht fühlen. Ich muss funktionieren. Ich muss mich anpassen, um dazuzugehören. So kann sich das Nervensystem irgendwann entscheiden, bestimmte Emotionen zu „kappen“. Freude, Lebendigkeit, Traurigkeit, Wut. Diese Gefühle werden unterdrückt, abgespalten oder gar nicht mehr richtig wahrgenommen. Diese Reaktion ist nicht falsch, sie war einmal notwendig, um emotional zu überleben.

Abspaltung als Schutz, aber zu welchem Preis?

Man kann nicht nur die unangenehmen Gefühle abstellen, auch die schönen werden leiser. Wer Angst und Schmerz nicht fühlen darf, verliert oft auch den Zugang zu Freude und Nähe. Das Leben wird leerer, flacher. Statt echter Lebendigkeit bleibt oft nur ein Gefühl des „Funktionierens“.

Diese emotionale Abspaltung kann sich auf viele Arten zeigen:

  • Schwierigkeiten, die eigenen Bedürfnisse zu spüren oder auszudrücken

  • Ein Gefühl innerer Leere oder Taubheit

  • Übermäßige Anpassung an andere

  • Angst vor Nähe oder intensiven Gefühlen

  • Unerklärliche Anspannung oder plötzliche emotionale Überflutung

Solche Symptome sind keine Schwäche, sie sind Spuren von Erfahrungen, in denen Fühlen zu unsicher war.

Trauma verändert das emotionale Erleben

Traumatische Erfahrungen, besonders in der Kindheit, verändern, wie unser Gehirn und Nervensystem Gefühle verarbeiten. Sie beeinflussen unser Selbstbild, unsere Beziehungen und unsere Fähigkeit, emotional präsent zu sein. Das Gute ist: Unser Nervensystem kann sich verändern. Es kann lernen, dass Fühlen nicht mehr gefährlich ist. Dass es heute andere Bedingungen gibt, vor allem sicherere, unterstützende.

Der Weg zurück zum Fühlen

In einer achtsamen, therapeutischen Beziehung kann das Fühlen langsam und begleitet wieder zugelassen werden. Dabei geht es nicht darum, etwas zu „leisten“ oder „richtig“ zu machen, sondern darum, wieder in Kontakt mit sich selbst zu kommen. Genesung bedeutet nicht, immer glücklich zu sein. Es bedeutet, sich selbst wieder spüren zu dürfen mit allem, was da ist. Mit Schmerz, aber auch mit Lebendigkeit, mit Verbundenheit, und in echtem Kontakt.

Sie dürfen fühlen. In Ihrem Tempo und auf Ihre Weise

Wenn Fühlen unsicher geworden ist, braucht es neue Erfahrungen: Erfahrungen von Gehaltensein, von Sicherheit, von echter Resonanz. In meiner Praxis begleite ich Sie auf diesem Weg mit Achtsamkeit, Mitgefühl und einem tiefen Verständnis dafür, wie sehr sich unser Innerstes manchmal schützen muss. Sie müssen das nicht allein tun. Und: Sie dürfen wieder fühlen.

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1. Was sind innere Ressourcen und warum sind sie so wichtig?

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Kleine Übung: Wie geht es mir gerade? Einen Moment mit sich selbst verbringen