Ich funktioniere, aber wie es mir geht, weiß ich nicht.
Manchmal stellt sich eine scheinbar einfache Frage: Wie geht es mir eigentlich? und bleibt dennoch unbeantwortet. Denn die Verbindung zu dieser Antwort ist bei vielen Menschen nicht selbstverständlich. Besonders dann nicht, wenn sie in ihrem Leben traumatische Erfahrungen gemacht haben. Statt klarer Gefühle wie Freude, Wut oder Traurigkeit machen sich oft Leere, Taubheit oder eine diffuse innere Anspannung breit.
Das hat nichts mit Schwäche oder Gleichgültigkeit zu tun. Es ist vielmehr ein stilles Echo früherer Schutzmechanismen. Es sind Überlebensstrategien, die einst notwendig waren, um mit überwältigenden Erfahrungen zurechtzukommen. In einer Zeit, in der Fühlen zu gefährlich war, hat das System gelernt, sich zu schützen, indem es abschaltet, abspaltet oder betäubt. Diese Strategien wirken oft noch lange nach. Traumatherapie unterstützt dabei, den Schutzmantel achtsam zu erkennen, wertzuschätzen und sich langsam wieder für Gefühle und Empfindungen zu öffnen.
Warum wir den Zugang zu unseren Gefühlen verlieren
Frühe oder überwältigende traumatische Erfahrungen, etwa durch emotionale Vernachlässigung, Gewalt, Bindungsverlust oder ständige Überforderung können das Nervensystem tiefgreifend beeinflussen.
Wenn ein Kind keine sichere Begleitung für seine inneren Zustände erlebt, lernt es:
„Meine Gefühle sind zu viel.“
„Wenn ich traurig bin, wendet sich niemand mir zu.“
„Wenn ich wütend bin, werde ich bestraft.“
In solchen Momenten entwickelt die Psyche Überlebensstrategien. Eine davon ist die Abspaltung: Gefühle werden nicht mehr bewusst wahrgenommen, sondern „ausgeblendet“, um emotionalen Schmerz zu vermeiden. Das geschieht nicht absichtlich, es ist eher ein unbewusster Schutzmechanismus. Und manchmal bleibt dieser Zustand über Jahre bestehen.
Wie sich emotionale Abspaltung anfühlen kann
Innere Leere, als wäre etwas in einem betäubt oder nicht erreichbar
„Ich funktioniere nur noch“, der Alltag läuft, aber ohne emotionale Tiefe
Gefühle wirken diffus, schwer benennbar oder „unlogisch“
Schuld oder Scham, weil man „nichts fühlt“, obwohl man es „sollte“
Zweifel an der eigenen Wahrnehmung, besonders in Beziehungen
Gefühl emotionaler Taubheit oder, „neben sich zu stehen“
Schwierigkeiten, spontane Gefühle, wie Freude oder Trauer zu zeigen
Probleme, sich an emotionale Erlebnisse zu erinnern
Innere Anspannung oft ohne erkennbaren Grund, schwer zur Ruhe zu kommen
Nervosität oder Gereiztheit, scheinbar „grundlos“
Körperliche Symptome, wie Verspannungen oder Erschöpfung
Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Empfindungen nicht falsch sind. Sie sind oft die kluge Antwort eines Systems, das gelernt hat, sich zu schützen.
Gefühle lassen sich nicht erzwingen, aber wiederentdecken
Manche Menschen versuchen, ihre Gefühle zu analysieren, zu „verstehen“ oder sie logisch zu rekonstruieren. Doch Fühlen ist kein rein kognitiver Prozess. Es geschieht im Körper, in Beziehung und in Resonanz. Deshalb braucht es innere und äußere Sicherheit, damit abgespaltene Gefühle wieder auftauchen dürfen. Und es braucht Mitgefühl. Nicht nur von außen, sondern auch für sich selbst, für das Kind, das einst keine Wahl hatte.
Wie Veränderung beginnen kann
In einem sicheren, therapeutischen Raum kann langsam wieder Kontakt entstehen. Oft beginnt dieser Prozess ganz leise mit einem diffusen Unbehagen, einer Körperempfindung oder einem inneren Bild. Schritt für Schritt kann das Nervensystem lernen:
„Heute bin ich nicht mehr in Gefahr.“
„Ich darf spüren.“
„Ich darf wieder Ich sein.“
Es geht nicht darum, ständig emotional zu sein. Es geht darum, überhaupt wieder einen lebendigen Zugang zu sich zu finden und zu dem, was da ist. Auch, wenn es anfangs noch unklar, verschwommen oder „nicht fühlbar“ scheint. In Therapie und Selbstfürsorge kann der vorsichtige Wiederaufbau des Gefühlszugangs ein wichtiger Schritt zur Heilung sein.
Sie sind nicht falsch. Sie sind geschützt
Wenn Sie sich fragen: „Warum fühle ich nichts?“ dann ist es vielleicht ein erster, leiser Hinweis darauf, dass etwas in Ihnen wieder in Kontakt kommen möchte. Und das ist kein Rückschritt, es ist viel mehr der Beginn von Veränderung. In meiner Praxis begleite ich Sie auf diesem Weg. Ganz behutsam und präsent, mit der Gewissheit: Auch wenn das Fühlen lange zu unsicher war, es kann langsam zurückkommen.